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The Who – QUADROPHENIA

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The Who – QUADROPHENIA

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1973 veröffentlichten The Who ein Album, das viele Fans als bestes Werk des Quartetts ansehen – eine Meinung, die Pete Townshend übrigens teilt. Doch als QUADROPHENIA erscheint, wird es zunächst mit gemischten Gefühlen aufgenommen.

Der 5. November 1973. Seit 50 Minuten spielen The Who in Newcastles „Odeon Cinema“, es ist der erste Gig eines dreitägigen Engagements. Sie präsentieren QUADROHENIA, Pete Townshends jüngstes Meisterstück, doch nichts funktioniert. Das Publikum scheint das ambitionierte Konzeptwerk nicht recht zu kapieren, weshalb sich Townshend und Daltrey genötigt sehen, die ganze Geschichte zwischen den Songs zu erklären. Der Flow ist dahin, The Who, live ansonsten eine Großmacht, wirken verkrampft. Die Tonband-Einspielungen funktionieren nicht richtig, und als die Band mit dem Song ›5:15‹ beginnt, versagt das Playback schließlich komplett, setzt 15 Sekunden zu spät ein. Jetzt reicht’s. Townshend explodiert.

Er hechtet zu Toningenieur Bob Pridden, packt ihn im Genick und zerrt ihn über das Mischpult auf die Mitte der Bühne. Er zerschlägt seine Gitarre und macht sich am Mischpult zu schaffen, aus dem er bündelweise akkurat jene Kabel reißt, die das Playback zuspielen sollen. Danach verschwindet er hinter der Bühne. Genau wie das Auditorium verharren auch seine Bandkollegen zunächst in ungläubigem Staunen, bis sie ihrem Gitarristen dann doch solidarisch folgen. Der Bühnenvorhang fällt, unheimliche Stille breitet sich aus. The Who sind verschwunden.

20 Minuten später sind sie zurück, obwohl die Atmosphäre noch immer gereizt ist. Die Songs von QUADROPHENIA sind gestrichen, die Band spielt statt dessen ihre alten Hits. Aber Townshend hat noch nicht genug, er be-schimpft das Publikum für die Unfähigkeit, sein neues Werk zu begreifen, spuckt Gift und Galle, bevor er mit dem finalen ›My Generation‹ ein kleines Erdbeben entfacht. Zu dessen Höhepunkt demoliert er eine weitere Gitarre, eine Gibson Les Paul, und schleudert einen Verstärker über die Bühne. Keith Moon folgt seinem Vorbild, zerlegt sein Schlagzeug, während Daltrey nach dem Mikro tritt. Dann verschwinden sie auf Nimmerwiedersehen.

Das Publikum applaudiert rauschend, doch die lokale Presse hat den Köder gefressen. Der „Newcastle Evening Chronicle“ spricht von einer „lächerlichen Zurschaustellung sinnloser Gewalt“ und einem „extrem kin-dischen PR-Gag, der einen potenziell schädlichen Einfluss auf Tausende von jungen Leuten ausübt, die ihren Idolen in allem nacheifern“. Tags darauf treten Townshend und Moon im TV-Lokalprogramm „Look North“ auf, um die Wogen zu glätten und den Fans zu versichern, dass die restlichen Shows stattfinden werden. „Nun, immerhin hat niemand sein Geld zurückverlangt, oder?“, lässt ein gut gelaunter Moon wissen. Und überhaupt: Zerstörungsorgien gehören bei The Who schon länger zum Geschäft, ihr Ruf als exzellente Live-Band fußt zum Teil auch auf ihrer Angewohnheit, harmlosen Musikinstrumenten spontan Gewalt anzutun. Townshends Blitzangriff auf Pridden ist allerdings von anderem Kaliber, geschuldet einer Mischung aus immer stärker werdendem Druck und gehöriger Frustration.

QUADROPHENIA folgt unmittelbar dem gescheiterten LIFEHOUSE-Projekt und soll nach Townshends Plänen The Whos Schaffen völlig neu definieren – eine Rock-Oper für die siebziger Jahre, die selbst TOMMY überflügeln soll. „Wenn TOMMY eine Rock-Oper war“, so Townshends lebenslanger Freund und Who-Biograf Richard Barnes, „dann war QUADRO-PHENIA die Große Rock-Oper. TOMMY bediente sich noch bei der Trivialkultur, QUADROPHENIA war ein ernsthaftes Kunstwerk. Mit diesem Album hob Pete The Who auf ein ganz neues Niveau.“ Doch Ende Februar 1974 stellt die Band alle Versuche ein, QUADROPHENIA auf die Bühne zu bringen. „Die ganze Sache war eine Katastrophe“, ereifert sich Townshend. Es vergehen 22 Jahre, bis The Who einen neuen Versuch unternehmen.

QUADROPHENIA, von Townshend 1973 als „eine Art musikalisches ‚Clockwork Orange‘“ bezeichnet, ist ihm ein zutiefst persönliches Anliegen. Oberflächlich betrachtet die „coming-of-age“-Geschichte eines Mods in den sechziger Jahren, thematisiert es die spirituelle Suche des Hauptdarstellers Jimmy Cooper, seinen Flirt mit Drogen, seine unerwiderte Liebe, die ritualisierten Kämpfe am Strand sowie sein Leiden an völlig sinnlosen Jobs und den verständnislosen Eltern. Die Mod-Szene kippt schnell um, sein bester Kumpel spannt ihm die Freundin aus – und sein geliebter Motorroller ist nur noch Schrott: Ein Ausflug nach Brighton ist der verzweifelte Versuch, noch einmal die Aufregung und Kameradschaft zu erleben, die bei den Scharmützeln zwischen Mods und Rockern herrschte, doch der Sommer des Jahres 1965 ist lange vorbei. Voller Verzweiflung rudert er aufs Meer, um allem ein Ende zu machen, erlebt jedoch seinen Moment der Erleuchtung.

Das Album strotzt nur so vor Metaphern, etwa dem Meer als destruktive oder erlösende Macht, Townshends eigene Vergangenheit mit The Who wird immer wieder angedeutet. Tatsächlich geht es um den jugendkulturellen Idealismus der sechziger Jahre, gebrochen durch die Sichtweise der zynischen, reichen Rockstars der Siebziger, die all das miterlebt haben. Es geht um Jimmy Cooper, aber eben auch um The Who. Ein komplexes Werk mit ambitioniertem Überbau, was sich auch in der Musik widerspiegelt. Wogende Gitarren und kraftvoller Gesang werden mit Bläserarrangements befeuert, mit halborchestralen Streichern sowie verschachtelten Piano- und Synthesizer-Schichten. „Pete und ich schrieben uns damals regelmäßig“, erinnert sich Barnes, „ich nannte ihn Tannhäuser, was wegen QUADROPHENIA ziemlich treffend war. Diese Bläser klangen doch nach Wagner, man konnte sich problemlos vollschlanke Damen mit Helmen vorstellen, die auf Vespa-Rollern fahren. QUADROPHENIA ist ein schwergewichtiges Hard Rock-Album, hat aber dennoch diese zarten Momente mit Streichern und Synthesizern. Es ist wie Porzellan und Stahlbeton, Seite an Seite.“

Rückblende in den Sommer 1972. Pete Townshend hat ein Problem: „Ich machte mir damals Sorgen um die Band, wir alle waren gelangweilt von TOMMY, spielten auf der Bühne aber nur drei Songs von WHO’S NEXT. Ich brauchte einen Ersatz für TOMMY, und die Jungs in der Band waren ungeduldig. Ich suchte nach einer Möglichkeit, unsere vier exzentrischen Egos zu befrieden. Wir waren immer unterschiedliche Charaktere, aber 1972 hatte ich das Gefühl, dass mir nur noch eine Chance übrig bliebe, The Who zusammen zu halten und unseren Fans als Einheit zu präsentieren.“

Ausgangspunkt des neuen Werks, so Townshend damals in der Musikpresse, ist eine Arbeit namens ›Rock Is Dead – Long Live Rock‹, die sich mit den Ursprüngen von The Who in den Sechzigern befasst. QUADROPHENIA, damals allerdings noch ohne Titel, solle die vier verschiedenen Persönlichkeiten innerhalb der Band reflektieren. Aber genau wie beim LIFEHOUSE-Projekt, Townshends Sci-Fi-Fantasie über die Möglichkeiten der Rockmusik, eine Art neue Sozialutopie zu erschaffen, hakt es bei der Umsetzung. Es soll jedenfalls um die lokale Verbundenheit einer Band mit ihren Fans gehen. „Jimmy“, so Townshend heute, „repräsentiert einen Fan, der sich absondert und in den Mitgliedern seiner Lieblingsband widerspiegelt. Im konkreten Fall in den vier Mitgliedern der Who. Es verhält sich also genau umgekehrt zu dem, was ich damals in der Musikpresse ankündigte. Um 1972 gab es keine Mods, keine uniformierten Popfans, sondern nur Hemden mit riesigen Krägen und Frisuren wie aus einem Shakespeare-Stück. Teil meines Plans war es, gemeinsam mit unseren Fans wieder jene Prinzipien aufleben zu lassen, die sie selbst in den Anfangstagen von The Who aufgestellt hatten.“

„Um 1964, 1965 waren The Who meiner Meinung nach die Diener des Publikums, und nicht umgekehrt“, so Townshend weiter. „Unser Job war es damals, dem Publikum zu geben, was es brauchte, es ging nicht darum, als Stars wahrgenommen zu werden. Doch innerhalb der Band benahm sich Keith Moon nicht nur wie ein Star, sondern trieb es sogar bis zum Äußersten. Er führte sich auf wie ein saudischer Prinz. Wir mussten eben alle unsere Rolle spielen. Dass wir dabei die Wirklichkeit aus den Augen verloren, lag teilweise auch daran, dass unsere Bühnenshows so verflucht intensiv waren. Wir fühlten uns unantastbar. Ich spürte damals noch eine gewisse Nähe zu unseren Fans im Teenageralter, doch war ich 1972 eben auch schon 27 Jahre alt. Es war für mich damals der letzte Versuch, einen Nachfolger für TOMMY zu schreiben, quasi meinen eigenen ‚Fänger im Roggen‘.“

Ein zentrales Thema von QUADROPHENIA ist die persönliche Weiter-entwicklung durch die Mitgliedschaft in einer Gang, vermutlich am besten auf den Punkt gebracht im Song ›I’m One‹. Dazu Towns-hend: „Ich wollte unbedingt Mitglied einer Gang sein. Ich wuchs quasi in einer auf, war vier Jahre lang ein Straßenjunge aus Acton, der mit seinen Freunden die Gegend unsicher machte. Wenn man in einer Gang oder irgendeinem anderen Kollektiv aufgehoben ist, passiert bald folgendes: Man bemerkt an sich selbst Eigenschaften, die nicht so recht dazu passen, man erfährt die Grenzen der Anpassungsfähigkeit. Dafür, dass ich dem indischen Guru Meher Baba folgte, wurde ich in unserer Band nur verarscht, und auch Jimmy passte nicht so recht in seine Mod-Gang, denn er war spirituell verwirrt, konnte seinen Platz in der Gesellschaft einfach nicht finden.“

Im September 1972 veröffentlicht Townshend sein erstes Soloalbum WHO CAME FIRST, ein frommes Werk, gewidmet dem Guru Meher Baba. Was innerhalb der Band auf wenig Verständnis stößt: „Mit meinem Interesse an spirituellen Themen und meinen künstlerischen Ambitionen konnte die Band wenig anfangen, sie machte sich sogar darüber lustig. Bedauerlicherweise reagierten viele – aber nicht alle – Musikkritiker ganz genauso. Sie dachten eben, dass jeder, der in einer Band spielt, zwangsläufig eine dumme Fotze sein musste, die einfach nur Glück gehabt hatte. Man sollte das Maul halten, spielen, ein paar Mädels vögeln, wegkriechen, sterben und die Analyse am besten ihnen überlassen. Keiner in unserem Team schien überhaupt irgendwelche spirituellen Fragen zu haben. Sie betrachteten Meher Baba eher als Witzfigur.“

Anfang 1973 beginnen die Aufnahmen zu QUADROPHENIA. The Who haben kurz zuvor einen alten Gemeindesaal in Battersea gekauft, den sie in ein hochmodernes Studio umbauen wollen. Da die Arbeiten noch unvollendet sind, weicht man auf das Mobilstudio des guten Freundes Ronnie Lane aus, der damals kurz davor steht, die Faces zu verlassen. Townshend erinnert sich daran, dass die frühen Sessions, immerhin die ersten Aufnahmen nach dem gescheiterten LIFEHOUSE-Projekt und der daraus resultierenden Notopera-tion WHO’S NEXT, ziemlich speziell waren: „Das LIFEHOUSE-Konzept einer Band, die sich mit ihrem Publikum vernetzt, war damals wohl zu ambitioniert. Über seine Komplexität und mein Versäumnis, alles ordentlich zu erklären, ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Was dabei häufig unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass wir nach dem Erfolg von TOMMY und dem unerwarteten Glücksfall WHO’S NEXT ziemlich müde waren. Die Jungs in der Band hatten in kreativer Hinsicht wenig beigetragen, sie mussten mich lediglich im Studio unterstützen und auf der Bühne begleiten. Als die Aufnahmen begannen und sie erstmals meine neuen, noch unerprobten Songs spielten, spürte ich jedoch ihre volle Unterstützung. Ich glaubte, dass wir nie zuvor besser geklungen oder überzeugender gespielt hätten. Besonderes Lob gebührt Roger, denn er sang wie ein wütender Bär. Sein ›Love Reign O’er Me‹ kann niemals übertroffen werden.“

Überliefert ist, dass Townshends Kollegen das Konzept hinter QUADROPHENIA anfangs nicht so recht kapieren. Aus verständlichen Gründen, denn laut Townshend ist die komplette Songsammlung erst drei Wochen vor Aufnahmebeginn fertig. Bassist John Entwistle bereitet sich auf die neue Herausforderung am besten vor, bei der Gestaltung der mitreißenden Bläser-Passagen lässt ihm Townshend freie Hand. Wirklich bemerkenswert gelingen seine pumpenden Bläser-Attacken bei ›5:15‹, die halborchestralen Verzierungen des Titelsongs und der eruptive Höhepunkt von ›Love Reign O’er Me‹. Dazu Townshend: „Johns Beitrag war überwältigend, außerdem konnte man prima mit ihm ar-beiten. Er war sorgfältig und diszipliniert, aber auch einfallsreich und lustig. Ich fand es ganz wunderbar, wie er seine Arrangements auf Notenpapier niederschrieb, genau wie ein richtiger Komponist. Was er da mit allerlei exotischen Blasinstrumenten anstellte, passte perfekt zu meinen eigenen Synthesizer- und Streicher-Arrangements. Alle Mitglieder der Band hatten eine ganz besondere Fähigkeit: Sie hörten zu. Es gibt viele Musiker, die das nicht können. Aber es ist ein Merkmal wirklich großer Musiker und gilt auch, obwohl er manchmal Probleme mit dem Timing hatte, für Keith Moon. Er hörte immer sehr aufmerksam zu, und was er dann spielte, passte perfekt zu meinen Songs. Sowohl in künstle-rischer wie in geschäftli-cher Hinsicht waren wir damals auf dem Zenit un-serer Macht. Wir konnten sogar ein Studio quasi aus dem Nichts hervorzaubern. Was uns fehlte, war lediglich Zeit. Weshalb weder der vielgepriesene Quadrophonie-Mix noch der entsprechende Bühnen-Act Realität wurden.“

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2 Kommentare

  1. Für mich ein absolutes musikalisches Meisterwerk der Rock-Musik aber nur als Musik.
    Die Verfilmung bzw. Bühnenaufführungen können das wahre Potential das in dieser Musik/Text steckt meiner Ansicht nach nicht vermitteln.
    Auf gut gepresstem Vinyl oder 24 / 96 Stream ist QUADROPHENIA ein Genuss für die Sinne.
    The Who waren davor und danach nie besser. Der absolute musikalische Höhepunkt dieser mit Abstand einflussreichsten Band der Zeit-Dekaden zwischen 1960 – 1973, meiner Meinung nach. Ich bin selbst ein Zeit-Zeuge der dieses Album noch als Original-Doppel-LP besitzt.

  2. Was für Pink Floyd Wish You were here ist/war, ist/war Quadrophenia für the who. Wish you were here is ein Konzept-Album obwohl es nie so bezeichnet wurde. Dagegen war Dark Side of the Moon nicht aus eine Guss zuviel unterschiedliche Momente. Auch kamen beide Alben whish you were… und Quadrophenia) zu ungefähr der gleichen Zeit auf den Markt. Ich habe das erscheinen beider Alben als Teenie erlebt. Es sind in Stein gemeisselte Denkmäler der Rockgeschichte. Bei Quadrophenia hört man die Trommelsalven von Keith Moon besser den je heraus – sie türmen sich vor einem auf wie riesige Wogen bevor sie in sich zusammenfallen. Er hat so eine geschmeidige Art die Gitarre von Pete T. zu untermalen obwohl er ja ein Rockschlagzeuger wie Bonham war und beide traf so ein ähnliches Schicksal. Es gibt wenige Alben auf denen man ganz präzise das Schlagzeug heraushören kann. Ich liebe dieses Album.

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