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Megadeth: Dave Mustaine im großen Interview

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Megadeth: Dave Mustaine im großen Interview

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Dave Mustaine ist lebendig und wohlauf. Zwei Jahre, nachdem die Ärzte ihn nach einer Behandlung gegen Rachenkrebs für geheilt erklärt haben, sieht er gut aus für seine 61 Jahre, als er aus seinem Homeoffice in Tennessee mit uns über sein Leben und seine Karriere als Anführer von Megadeth spricht. Sein Gesicht hat ein paar Falten, sein einst feuerrotes Haar ist von Grau durchzogen, doch nach 20 Jahren Abstinenz schaut er deutlich vitaler aus als bei unserem ersten Interview 1988, als Megadeth in den USA als Vorgruppe für Dio unterwegs waren. Damals war er aschfahl, wie das nun mal so ist, wenn man nach harten Drogen süchtig ist. Doch wie er jetzt mit einem dünnen Lächeln sagt: „Das ist lange her.“

David Scott Mustaine kam am 13. September 1961 in La Mesa, Kalifornien auf die Welt, einer Kleinstadt östlich von San Diego. Seine Kindheit dort verlief schwierig: Die Eltern trennten sich, als er vier war, und sein Vater John war ein Mann mit vielen Problemen, dessen Trunksucht ihn früh ins Grab brachte. Als Teenager entdeckte auch Dave seine Vorliebe für den Alkohol, ebenso wie für Drogen und Heavy Metal. Die rohe Kraft britischer Bands wie Judas Priest, Iron Maiden und Motörhead zog ihn an und das Gitarrenspiel fiel ihm leicht. 1981, Mustaine ist da 19, löst sich seine erste Band Panic auf, als deren Schlagzeuger Mike Leftwych bei einem Autounfall ums Leben kommt. Eine Tragödie, die Daves Leben tiefgreifend verändern sollte. Das Ende von Panic führte dazu, dass er nach neuen Gelegenheiten Ausschau hielt, und die fand er in einer neuen Gruppe aus Los Angeles namens Metallica. Er spielte nicht mal zwei Jahre als Leadgitarrist in der Band, doch in dieser Zeit nahm er eine Schlüsselrolle ein in der Entstehung eines Sounds, der die Heavy-Musik revolutionieren sollte: Thrash Metal. Seine gewalttätigen Alk-Ausraster wurden letztlich sogar für eine Gruppe zu viel, die als „Alcoholica“ bekannt war, und Mustaine flog 1983 raus, just als Metallica sich auf die Aufnahmen zu ihrem Debüt KILL ‘EM ALL vorbereiteten. Ersetzt wurde er von einer stabileren Persönlichkeit, Kirk Hammett. Doch auch in Mustaines Abwesenheit enthielten die ersten beiden Metallica-Platten Songs, an denen er mitgeschrieben hatte, insbesondere ›The Four Horsemen‹ und ›Jump In The Fire‹ von KILL ‘EM ALL sowie das Titelstück von RIDE THE LIGHTNING (1984). Als er dann ins Rampenlicht zurückkehrte – 1985 brachte er Megadeth mit ihrem Debüt KILLING IS MY BUSINESS… AND BUSINESS IS GOOD! ins Licht der Weltöffentlichkeit –, erklärte er ihnen den Krieg. Wie er über seine einstigen Kollegen sagte: „Ich war auf Blut aus – ihres.“

Letztlich erwies sich das als ein Krieg, den er nie gewinnen konnte. Bei all seinen einzigartigen Talenten als Songwriter, Gitarrist und Sänger – bestens zu hören auf Albumklassikern wie PEACE SELLS… BUT WHO’S BUYING? (1986), RUST IN PEACE (1990) und COUNTDOWN TO EXTINCTION (1992) – erreichten Megadeth zwar beeindruckende Verkaufszahlen von 50 Millionen Platten, doch Metallica mit ihren 125 Millionen sind haushoch überlegen. In unserem heutigen Gespräch bevorzugt er es jedoch, sich nicht zu sehr auf das Negative zu konzentrieren. Er spricht stattdessen voller Stolz über das, was er mit Megadeth erreicht hat, und vollmundig über seine Zeit bei Metallica – aber auch großmütig. Vor allem aber ist er stolz darauf, wie er sein Leben auf einen besseren Weg gebracht hat. Die unbequeme Art des jungen Dave ist aber nicht ganz verschwunden. Das spürt man, wenn man ihn zu seinen wilden Jahren befragt oder seiner jüngst getroffenen Entscheidung, David Ellefson zu feuern, der fast 30 Jahre Mitglied von Megadeth war. Man hört sie zudem in seinem aggressiven neuen Album, das er mit einem klassisch bissigen Titel versehen hat: THE SICK, THE DYING… AND THE DEAD.

Fangen wir mit deiner neuesten Platte an, die im letzten Jahr erschienen ist. Wie würdest du sie beschreiben?

Längst überfällig. Seit der letzten waren schon sechs Jahre vergangen. Niemand hat die Pandemie geplant, und ich hatte ganz sicher nicht vor, an Krebs zu erkranken. Aber ich bin sehr zufrieden mit diesem Album. Ich tue das, was ich am liebsten tue, nämlich Gitarre spielen.

Es ist ein hartes Werk mit harten Themen, etwa auf ›Psychopathy‹, ›Junkie‹ und ›Dogs Of Chernobyl‹.

Richtig. Bei Megadeth gibt es Songs über Krieg, Politik, Okkultismus, Songs über Leben und Tod, ein paar Fantasy-Nummern und damals auch ein paar typische Stücke von Heranwachsenden über schnelle Autos und Partys. Aber bei mehr als 200 Liedern gehen dir irgendwann die Themen aus, über die du schreiben kannst!

Am 14. Mai 2021 hast du während der Aufnahmen Dave Ellefson gefeuert, nachdem er sexuell explizite Videos auf Twitter gepostet hatte. Wie schwer fiel es dir, ihn gehen zu lassen, nach allem, was du mit ihm durchgemacht hast?

Ich möchte nicht über ihn reden. Das liegt jetzt hinter mir und ich habe nicht das geringste Interesse daran, darüber zu sprechen.

Okay, reden wir von was anderem. Als Ersatz für Ellefson hast du Steve Di Giorgio von Testament als Bassisten für das Album engagiert, aber nicht als festes Mitglied.

Er wäre ein großartiger Musiker für uns gewesen, aber ich halte nichts davon, aktiv Leute von anderen Gruppen abzuwerben. Als Metallica das mit Cliff [Burton] taten, um ihn aus der Band Trauma zu holen, fühlte sich das für mich wirklich beschissen an, und das habe ich nie vergessen. Ich weiß, dass es mir nicht gefallen würde, wenn jemand daherkäme und jemanden aus meiner Gruppe holen würde.

Über die Jahre sind so viele Leute bei Megadeth gekommen und gegangen. Fühlt es sich immer noch wie eine Band für dich an oder eher wie dein Soloprojekt?

Megadeth haben einen Spirit, und wenn wir zusammenkommen, spüren wir ihn alle. Das ist nicht das, was Fans mir zuschreiben, sondern das, was Megadeth sind. Meistens kann man einige der Instrumentalisten einer Gruppe auswechseln, aber nicht die Stimme. Sieh dir Van Halen an. Ich liebe Sammy Hagar, aber für mich ergibt er als Sänger von Van Halen genauso wenig Sinn wie Axl Rose bei AC/DC. Ich bin es nicht gewohnt, das so zu hören. Die Stimme auszuwechseln, ist seltsam. Das ist, wie wenn man Wasser trinkt, aber feststellt, dass es Alkohol ist – nicht das, was man erwartet. Bei Megadeth bin ich also die Stimme, der Hauptsongwriter, aber ich bin sicher nicht „die Band“.

Wo du Sammy Hagar erwähnst: Er hat einen Gastauftritt auf deiner aktuellen Platte, spielt Gitarre und singt auf einer Version seines Tracks ›This Planet’s On Fire (Burn In Hell)‹ von 1979.

Ich liebe Sammys Stimme, seit ich das erste Montrose-Album gehört habe. Die Leute reden immer von ›Rock Candy‹ als dem besten Song auf der Platte, aber mein Lieblingsstück ist ›Make It Last‹. Bei Panic, der Gruppe, in der ich vor Metallica war, spielten wir live tatsächlich zwei Coverversionen von Montrose: ›Bad Motor Scooter‹ und ›I Got The Fire‹.

Der andere Gast auf THE SICK, THE DYING… AND THE DEAD! ist Ice- T, der auf ›Night Stalker‹ rappt.

Wir sind schon lange befreundet. Ich spielte auf einem Track von ihm und jetzt ist er auf meinem. Er ist ein guter Typ, aber seine Musik ist sehr intensiv. Als er diesen Song ›Cop Killer‹ machte (vom selbstbetitelten Debüt von Body Count, 1992], machte er vielen Angst damit.

Auch dein Ruf war in den Anfangstagen von Megadeth angsteinflößend. Ein wütender junger Mann, der außer Kontrolle ist.

Viel davon war ein Charakter, eine Bühnenfigur. Es ging einfach darum, da rauszugehen, den Gürtel zu straffen, einen tiefen Schluck zu nehmen und einfach alle anzuschreien, die zuhören wollten.

Aber es war nicht nur gespielt. Du hast schon öfter gesagt, dass du ab einem frühen Alter sehr viel Wut in dir hattest.

Das ist wahr. Als Kind wollte ich beim Ausmalen nicht zwischen den Linien bleiben. Ich wollte überhaupt nicht malen – sondern das fucking Buch verbrennen! Ich wollte die Welt beherrschen, und sobald ich eine Gitarre in die Hand nahm, wollte ich nichts anderes machen. Ich verprügelte sie förmlich, Pyrotechnik auf den Saiten.

Dein Vater war Alkoholiker. Hattest du je das Gefühl, dass dein Abstieg in die Alkohol- und Drogen- sucht irgendwie vorbestimmt war?

Ich war schon immer neugierig auf das Trinken gewesen, und es versuchte, mich in diesen Abgrund zu locken. Es gibt viele Leute aus dieser Zeit, die es nicht überlebt haben, aber ich bin immer noch hier, um die Geschichte zu erzälen. Ich halte mich für sehr glücklich. Ich habe ja ein Weinunternehmen, und wenn wir neue Mischungen machen, nehmen ich einen kleinen Schluck zum Probieren. Und bei der Hochzeit meines Sohns Justis war es brütend heiß, da wollte ich sicher nicht einfach in der Sonne sitzen und Wasser trinken, Mann! Aber die Tage, in denen ich Nutten suchte, die mir dabei helfen, im Viertel vom Moulin Rouge Heroin aufzutreiben? Die sind vorbei, und ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum du das zur Sprache gebracht hast. Das ist ziemlich unfair. Ich meine, fuck, sehr schmeichelhaft ist das nicht.

In deiner Autobiografie vor zehn Jahren hast du mit deinen Drogengeschichten nicht hinterm Berg gehalten. Im Gegenteil, du hast alles in den schrillsten Details geschildert.

Nun, wollen wir Sachen wiederkäuen oder wollen wir neues Zeug, wo ich doch noch lebe und atme und etwas Neues habe, über das ich reden kann? Das ist deine Entscheidung. Und egal wie du es schreibst, hoffe ich einfach, dass niemand, der zu mir aufblickt, das liest und denkt, etwas wie Heroin sei die Antwort. Denn so bin ich damals darauf reingefallen. Gar [Samuelson, ehemaliger Megadeth-Schlagzeuger] sagte mir, wenn ich großartig sein wollte, müsste ich das machen.

Du bist eindeutig ein besseres Vorbild, als er es war. Hat das etwas damit zu tun, Kinder zu haben?

Vielleicht. Ich weiß noch, wie Megadeth bei „VH-1 Behind The Music“ gefeaturet wurden. Mein Sohn ging noch zur Schule und kam weinend nach Hause, weil die anderen Kinder ihn damit aufgezogen hatten. Ich meinte zu ihm: „Die Leute werden Dinge über deinen Dad sagen und du wirst dich daran gewöhnen müssen. Sei einfach stark“. Über meinen Dad wurde auch Schlimmes gesagt und es tat mir weh, wenn ich meine Mom sowas sagen hörte. Da dachte ich immer: „Hast du jemals versucht, eine Intervention bei diesem Typen zu machen?“ Ich weiß nicht, ob das je passiert ist. Sondern nur, dass ich ihn nicht sehen durfte. Nie.

Du hast von Musik als einer Form von Eskapismus für dich als Kind gesprochen. Was war es am britischen Heavy Metal, der bei dir so einen Nerv traf?

Nach dem, was ich vorher gesagt habe, kann ich nicht glauben, dass ich das jetzt erzähle, aber ich verkaufte damals Gras in kleinen Beuteln an dieses Mädchen, das in einem Plattenladen arbeitete, und sie gab mir Importplatten, die fast alle britisch waren. Also bekam ich Maiden, Motörhead, Budgie … Das hatte alles etwas Rohes an sich, während viel amerikanische Musik für mich überproduziert klang. Es gibt einen Track von Budgie, auf dem man hört, wie der Schlagzeuger auf seinem HiHat anzählt und sich Leute im Hintergrund unterhalten. Ich dachte: „Das ist so cool. Sie sind mitten im Song.“ Es machte mich sehr traurig, als ich hörte, dass [Budgie-Bassist/Sänger] Burke Shelley gestorben ist.

In den letzten Monaten seines Lebens gab er CLASSIC ROCK ein Interview, in dem er über seinen Glauben sprach: „Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich will meine Ewigkeit mit Jesus Christus im Himmel verbringen.“

Allein, dass ich mich als gläubig geoutet habe, führte schon zu heftigen Reaktionen von Fans und Hatern. Aber wenn du mir erzählst, dass Burke einen Glauben hatte und seinen Frieden fand, macht mich das glücklich. Es ist seltsam, wie andere Menschen sind. Man würde sich denken, dass sie sich für einen freuen. Doch das tun sie nicht. Man muss einfach lernen, das zu akzeptieren.

Hattest du irgendwelche Zweifel, dich öffentlich als Christ zu bezeichnen?

Nein, denn das rutschte mir eigentlich eher so raus. Ich sprach ganz nebensächlich davon, so wie jetzt mit dir. Nichts, bei dem ich dachte, dass es eine große fucking Sache ist. Wenn jemand sagt, er sei Katholik, interessiert das niemanden. Aber wenn du sagst, dass du Christ bist, ist das, als hättest du zwei Köpfe! Jetzt behalte ich sowas einfach für mich selbst. Ich schreibe niemandem vor, wie er leben soll. Ich habe mich mit schwarzer Magie und Hexenwerk befasst und das hat mein Leben sehr lange total kaputtgemacht. Aber jetzt bin ich glücklich.

In deine Autobiografie „Mustaine“ schriebst du etwas, das etwas seltsam erschien …

Nichts läge mir ferner, als mich je als seltsam bezeichnen zu lassen, nicht wahr? Was denn?

Über deine Zeit bei Metallica stand da zu lesen: „Ich war der Anführer der Band.“ Das ist ein ziemlich gewagtes Statement.

Warum?

Weil die Jungs, die Metallica gründeten, James Hetfield und Lars Ulrich, selbst Alphamännchen sind.

Oh nein. Unter uns dreien bin eindeutig ich das Alphamännchen. Warum musste ich alles erledigen, als ich in der Band war? Warum baten sie immer mich, mit den Veranstaltern zu reden und das Geld einzusammeln? Warum war ich derjenige, der sich streiten musste? Warum musste ich die Ansagen zwischen den Liedern machen?

Fällt es dir schwer, über Metallica zu reden?

Nein. Das ist mir wirklich scheißegal. Und weißt du was? Ich liebe diese Jungs. Erst vor eine paar Tagen habe ich James eine Nachricht geschickt, nachdem er gesagt hatte, er fühle sich unsicher in seinem Spiel. Ich sagte: „James, ich liebe dich und mag dein Spiel sehr.“ Er hat nicht geantwortet. Natürlich nicht. Warum sollte er auch? Aber ich wollte, dass er weiß, dass auch ich schon solche Gefühle hatte, aber heute nicht mehr. Vergiss nicht, als ich bei Metallica einstieg, spielte James noch gar nicht Gitarre. Er fing erst damit an, als ich schon dabei war. Aber seien wir ehrlich, James ist einer der besten Metalgitarristen der Welt. Dass er so etwas empfinden muss, ist also eine Lüge, denn er ist ein unfassbar talentierter Typ. Also fand ich einfach, dass ich etwas zu ihm sagen musste. Ich habe es nicht getwittert. Ich wollte nicht, dass irgendjemand wusste, was ich ihm sagte. Aber ich erzähle es dir jetzt, denn, hey, du hast das aufgebracht!

Hast du mit Megadeth alles erreicht, wovon du geträumt hast?

Ich hatte einen Plan: in der größten Metalband des Planeten zu sein. Keine Ahnung, vielleicht steht mir das noch bevor. Aber unter den amerikanischen Metalbands gibt nicht viele, die größer sind als Megadeth. Ich würde sagen, das ist eine große Errungenschaft.

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