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Deep Purple: Fünf ist gleich eins

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Deep Purple: Fünf ist gleich eins

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Fünf grundverschiedene Menschen, die ein gemeinsames musikalisches Ziel verfolgen – die Gleichung, die Deep Purple auf ihrem neuen Album „=1“ aufstellen, geht sowas von auf.

Anders als ihre Platte INFINITE im Jahr 2017 und die zugehörige „The Long Goodbye Tour“ damals vermuten ließen, denken Deep Purple auch sieben Jahre, ein Studio- und ein Coveralbum später, nicht ans Aufhören. Dass es irgendwann einmal vorbei sein wird, ist den britischen Hardrock-Legenden, die seit 1968 auf den Beinen sind, natürlich bewusst. Doch solange alle Beteiligten Freude an ihrem Job haben, sich auf der Bühne wohlfühlen und bei den Songwriting-Sessions weiterhin hochwertiges Material erschaffen, ist das Ende dieser ikonischen Band derzeit kein wirklich präsentes Thema für sie selbst.

Vielleicht zählt das Quintett gerade deswegen zu einer der langlebigsten Formationen im Rock-Business. Trotz zahlreicher Besetzungswechsel – erst 2022 verließ Gitarrist Steve Morse Deep Purple, um seiner inzwischen leider an Krebs verstorbenen Frau in der Krankheit beistehen zu können – vieler virtuoser Höhen und manch flauer Phasen, steht Deep Purple noch immer wie ein Fels in der Brandung, „in rock“ eben. Als jüngsten Beweis hierfür liefern Ian Gillan, Ian Paice, Roger Glover, Don Airey und Simon McBride, der „Neue“ an der Gitarre, nun ihr extrem starkes Album „=1“ ab.

Der etwas rätselhafte, mathematische Titel stellt eine Gleichung auf, in der sich durch das Chaos hindurch alles auf eine einheitliche Essenz aufsummieren lässt. Ein fast schon pantheistisch angehauchter Ansatz und gleichzeitig Sinnbild für eine Band, deren fünf Mitglieder wohl nicht unterschiedlicher sein könnten und am Ende doch zu einer sagenhaften Einheit verschmelzen. Welches (pragmatische) Geheimnis hinter dieser Rechnung steckt, wie sich die Banddynamik verändert hat und wie das von Bob Ezrin produzierte „=1“ entstanden ist, verraten Sänger Ian Gillan, Schlagzeuger Ian Paice und Gitarrist Simon McBride im Interview.

Ian Gillan – Der ewige Poet

Hat sich an eurer Herangehensweise an ein neues Album etwas geändert?

Das Songschreiben läuft bei uns seit 1968 immer gleich ab. Normalerweise treffen wir uns für eine Woche und arbeiten jeden Tag. Die Jungs jammen, alles ist improvisiert, nichts ist vorbereitet. Ich sitze dabei und höre zu. Wir starten am Vormittag und arbeiten bis abends mit einer Tee-Pause dazwischen. Wie im Büro. Am Ende der ersten Woche haben wir circa 30 Ideen beisammen. Ein paar Wochen oder Monate später treffen wir uns erneut, um weiterzuarbeiten und danach gibt es eine dritte Session, in der an den Arrangements gearbeitet wird. Dann sind wir eigentlich schon gut in Form. Danach folgt eine Pre-Recording-Session und das vierte Treffen findet dann schon im Studio statt. Im Grunde ist Deep Purple eine Instrumental-Band. Die Musik steht an erster Stelle und erst im Anschluss schreibe ich meine Texte.

Ihr seid eine der wenigen Bands, die wirklich gemeinsam Songs schreibt. Was ist der Schlüssel zum Erfolg dieser Methode?

Mir erscheint das ganz organisch und natürlich. Die Musik muss so sein, dass wir sie spannend finden. Wir haben keine Pläne, alle fünf tragen gleichermaßen ihren Teil bei. Für mich liegt der Schlüssel darin, meinen Kopf richtig zu justieren, um die Lyrics schreiben zu können.

Wie muss es dir also gehen, damit du gut texten kannst?

Ich denke, ich brauche einen ersten Funken, damit alle Songs aus demselben Mindset heraus entstehen. Letzten Sommer habe ich viel geschrieben, aber es wollte nicht so recht funktionieren. Ich konnte mich nicht darauf fokussieren, was ich überhaupt schreiben wollte. Das war sehr frustrierend. Eines Morgens hatte ich Dinge zu erledigen, Papierkram, was weiß ich. Heutzutage ist alles so kompliziert! Ich saß also am PC und versuchte, eine Matrix zu lösen, indem ich Motorräder und Ampeln anklickte, um einem Roboter zu beweisen, dass ich ein Mensch bin. Und ich dachte mir: „Das hört nicht mehr auf. Es ist zu spät, es ist bereits passiert.“ Also schrieb ich eine Gleichung auf, bei der auf der linken Seite alle Komplikationen und Schwierigkeiten stehen sollten und auf der rechten Seite das, was ich eigentlich erreichen will. Die Zahl 1, etwas einfaches. Und das war der Ausgangspunkt, ab da klappte es wieder. Diese Gleichung half mir, eine lose konzeptuelle Idee von Simplizität zu entwickeln. Im Anschluss hatte ich alle Texte innerhalb von drei Wochen fertig.

Kennst du diese Blockaden bereits oder war das etwas Neues für dich?

Das habe ich jedes Mal. (lacht) Das ist wahrscheinlich der natürliche Lauf der Dinge. Aber wenn ich dann mal weiß, wohin die Reise geht, ist es einfach. Meiner Meinung nach sollten die besten Songs in unter 20 Minuten entstehen. Wenn man tagelang an einem Track basteln muss, damit er irgendwie funktioniert, wird er sich nie richtig anfühlen.

Gibt es gar keine Songs auf „=1“, die ein bisschen länger brauchten?

Nein. Alles war ganz leicht. Ich persönlich schreibe ständig, weswegen ich viele Notizen und Ideen herumliegen habe, aus denen ich schöpfen kann. Sobald ich mal den Titel und das Kernthema habe, ist das Schreiben ganz einfach. Eher der kreative Part, die Vorstellungskraft, wovon der Song handeln kann, dauert. Ein Beispiel ist der Song ›Old-Fangled Thing‹. Schon vor 20 oder 30 Jahren schrieb ich einmal einen Text darüber, dass irgendwann Graphit entdeckt wurde und so durch die Erfindung des Stiftes die Zivilisation entstand. Dann beginnt der Prozess des Songwritings. Ich sitze in einer Bar, kritzele herum und „along came you“! Mit „you“ ist der Song gemeint. Diese Idee schwebt mir schon lange vor, doch bisher passte sie nie auf eines unserer Alben. Der Opener ›Show Me‹. Da hatte ich den Titel und die Melodie, aber keine passenden Worte. Jeder Song hat seine eigene Geschichte, ›Lazy Sod‹, ›Portable Door‹…

Hast du ›Lazy Sod‹ [fauler Sack] nicht mal als Selbstbezeichnung in einem Interview verwendet?

Das hat ein Journalist zu mir gesagt. Er fragte mich: „Wie viele Songs hast du bisher geschrieben?“ So vor zwanzig Jahren waren es etwa 500 und ich dachte, das ist schon was. Doch dann sah ich eine Dokumentation über Dolly Parton, in der sie erklärt, dass sie um die 5000 Songs geschrieben hat. Daraufhin meinte der Journalist zu mir: „Das macht dich wohl zum ›Lazy Sod‹!“ Dieses Narrativ habe ich angewendet auf eine Situation, in der das eigene Haus in Flammen steht, man jedoch nicht aus dem Bett kommt. Ein Symbolbild. Im Traum geht dann die Sprinkleranlage an und flutet das Haus. Daraufhin muss ich für mich und meine schwarze Katze eine Arche bauen. Einfach und simpel, mit metaphorischen Aspekten.

In ›I’m Saying Nothin’‹ schreibst du über das perfekte Verbrechen und die ewige Qual des Verbrechers, mit niemandem über diese Glanztat sprechen zu dürfen.

Absolut. Wenn man das perfekte Verbrechen begehen möchte, gibt es gewisse Regeln. Man darf das Opfer nicht kennen, weil es ansonsten Anhaltspunkte für die Ermittler gibt. Man darf kein Motiv haben, außerdem keine Komplizen, denn am Ende wird einer reden oder sein Geld unbedacht ausgeben. Zu guter Letzt: Du darfst niemandem davon erzählen. Bleibt also die Frage: Wozu das Ganze?

Wie war es, dieses Album ohne Steve Morse aufzunehmen?

Wir denken nicht in diesen Kategorien. Steve ist jetzt schon seit einigen Jahren nicht mehr in der Band und Simon fing als sein Ersatz an. Das mit Steve war tragisch, ich kenne das Gefühl, ich habe Ähnliches erlebt. Doch Simon war da, da schwelgt man nicht in der Vergangenheit, man lebt im Moment. Da war so viel Energie, wir hatten so viel Spaß, dass wir gar nicht über Steve gesprochen haben. Weißt du, wenn du einen guten Spieler im Football durch einen anderen guten Spieler ersetzt, dann redest du doch nicht über den alten Spieler. Du ziehst den Job durch, du machst weiter. Man bringt da nichts Persönliches rein. Generell sind wir nicht so stark persönlich verbunden. Wir leben neun Monate im Jahr auf engstem Raum zusammen, nach der letzten Show gehen wir alle nach Hause. Ich glaube nicht, dass in dieser Zeit irgendwer von uns miteinander telefoniert oder man sich zum gemeinsamen Grillen trifft. Steves Präsenz ist schon da, genauso wie die von Ritchie Blackmore, Joe Satriani oder dem großartigen Jon Lord – Gespenster der Vergangenheit. Was sie uns sagen? „Gebt euch Mühe!“

Wie fügt sich Simon McBride in den Deep-Purple-Kosmos ein? Hat er eure Dynamik verändert?

Zwischenmenschliche Chemie ist eine wundervolle und gleichzeitig seltsame Angelegenheit. Jemand kann einen Raum betreten und die gesamte Energie verändert sich. Wir alle kennen das. In unserem Fall war es ganz einfach. Wahrscheinlich auch, weil Steve ja nicht weitermachen konnte. Das ist etwas ganz anderes, da entstehen keine unguten Schwingungen. Simon kam mit blütenweißer Weste zu uns. Und er hat ja live schon einige Zeit mit uns gearbeitet. Ich erinnere mich noch an eine Situation, wo wir nach sechs Monaten voller Konzerte zusammen in einer Bar saßen und ich ihn fragte: „Bist du jetzt in der Band oder was?“ und er antwortete: „Nun, ich glaube schon.“ Die Stimmung zwischen uns ist seither wirklich gut. Der größte Unterschied zwischen den beiden ist wahrscheinlich ihre Herkunft, ihr Hintergrund. Beide sind Musiker auf höchstem Niveau, da kann man also keine sinnvollen Vergleiche ziehen. Beide sind exzellent. Steve wuchs in Amerika auf, er zählt Southern Rock und Jazz zu seinen Einflüssen. Simon kommt aus Belfast, wuchs mit Gary Moore und Joe Satriani auf, er strahlt diese unmittelbare UK-Energie aus, während amerikanische Musik oft dazu tendiert, ein bisschen zurückgelehnter zu klingen. Sie haben eine unterschiedliche Herangehensweise an Musik, ohne das bewerten zu wollen. Das hört man aus den Arrangements raus. Aber sonst ist das echt schwer zu beurteilen. Da könnte ich auch fragen: Was ist der Unterschied zwischen diesem und jenem Typen? Der eine kommt aus Newcastle und hat einen anderen Dialekt. So oder so: Mit beiden Musikern war die Stimmung innerhalb der Band großartig. Und natürlich führt ein neues Mitglied dazu, dass man sich selbst nochmal neu betrachtet. Ein seltsamer Prozess, dieses menschliche Verhalten. Aber es hat alles gut geklappt.

An manchen Stellen, z.B. bei ›Portable Door‹ oder ›Now You’re Talkin’‹, höre ich verstärkt frühe Purple-Vibes heraus. Wie schafft man neue Songs, die nach einem selbst klingen, ohne sich dabei in seinem übermächtigen Erbe zu verfangen?

Wahrscheinlich klingen sie wirklich, als könnten sie aus einer anderen Ära stammen, aber für mich klingen sie frisch und vital. Die Antwort auf solche Fragen fällt mir wirklich schwer, weil wir so nicht denken. Diese Selbstanalyse findet bei uns nicht statt. Wenn wir schreiben oder im Studio sitzen, sprechen wir nie über solche Dinge. Wir reden über das neue Auto, das einer von uns gekauft hat, oder wie es den Kindern und dem Hund geht. Dann scherzen wir über Kricket. Deswegen kann ich auf solche Fragen nicht wirklich etwas Intelligentes antworten.

Na, solche Fragen sind wohl eine Krankheit von uns Magazinleuten …

Ach, ich verstehe es ja. Mir werden diese Fragen wirklich oft gestellt, schon mein ganzes Leben lang. Weil es die Menschen fasziniert und interessiert. Am meisten, wenn irgendwas schief läuft.

Es ist ja auch eine Antwort, wenn du sagst, dass ihr euch darüber absolut keine Gedanken macht.

Das stimmt. Und wenn es Probleme gibt, haben wir ein Abstimmungssystem. Denn wir sind oft nicht derselben Meinung. Wir handhaben das ganz simpel. Wenn es eine Mehrheit gibt, wird es so gemacht und jeder akzeptiert das. Ich kenne das Gefühl, überstimmt zu werden, ziemlich gut. (lacht) Wenn jemand etwas nicht tun möchte, alle anderen aber schon, dann ist das eben der Lauf der Demokratie. Also setzt du ein Lächeln auf und tust es.

Viele könnten ihr Ego wahrscheinlich trotzdem nicht der Demokratie unterwerfen…

Da hast du so Recht. Aber mit einem Abstimmungssystem wirst du jegliche Egos los, weil man das Ergebnis einfach akzeptieren muss. Das funktioniert super und wir benutzen es immer und überall. Bei Arrangement-Fragen, Musik, Tourneen, Studios. All diese Angelegenheiten, über die man ewig diskutieren kann. Mit einer Wahl löst man dieses Problem ein für allemal. Wenn man es nicht so handhabt, lässt es sich nicht vermeiden, dass es persönlich wird. Und das bringt niemandem etwas. Was ich gelernt habe: Jede Entscheidung, die unter Stress, emotionaler Aufgewühltheit oder aus persönlichem Interesse heraus getroffen wird, ist eigentlich immer die falsche Entscheidung für die Gruppe. Das sieht man auch beim Football. Wenn einer abhebt und sich als Superstar aufspielt, dann funktioniert das vielleicht für zehn Minuten, aber irgendwann verliert man die Spiele, weil keiner mehr Bock hat, den Ball an den Typen abzugeben. Das sieht man doch auch an den Supergroups der 70er Jahre, die vom Business geformt wurden. Die haben nie wirklich lange funktioniert. Mir fällt keine ein, die etwas langlebiger war.

Ist also das der Grund, warum Deep Purple so eine langlebige, zähe Formation ist?

Weißt du was? Ja! Jetzt wo du es so sagst, stimme ich absolut zu. Aber auch darüber haben wir noch nie nachgedacht.

Was magst du am meisten am aktuellen Line-Up von Deep Purple?

Es ist einfach. Unkompliziert. Wie soll man fünf verschiedene Menschen mit verschiedenen Meinungen zu Politik, Kultur und Musik unter einen Hut bringen? Wir schaffen das immer wieder. Deswegen ist die Stimmung in unserem Backstage immer gut und wenn die Tour vorbei ist, gehen wir nachhause und warten auf die nächste. Ich komme ins Stocken, wenn ich nach anderen Worten suche, deswegen bleibe ich dabei. Es ist einfach. Fünf Menschen mit einem geteilten Interesse, demselben Kurs. Eine gute Balance.

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