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Dr. John: Das Konzert seines Lebens

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Dr. John: Das Konzert seines Lebens

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Keiner weiß genau, wie viele Konzerte Dr. John in den vergangenen 60 Jahren gegeben hat – man darf annehmen, dass es mehr als 5000 sind. Darunter waren viele besondere Auftritte, doch einer, der noch gar nicht so lange her ist, sticht heraus: Es war ein Abend, an dem seine Musik von einigen der größten zeitgenössischen US-Musiker live mit ihm zusammen performt wurde. Die im November 2016 erschienene Doppel-CD THE MUSICAL MOJO OF DR. JOHN: CELEBRATING MAC AND HIS MUSIC ist damit ein Zeitdokument von höchster Güte.

Text: Sascha Krüger

Es geht gleich formidabel los bei diesem wohl einzigartigen Konzert, mitgeschnitten im Saenger Theatre in New Orleans im Sommer 2014: Mit Dr. John und seinen Musikern steht der Boss höchstselbst auf der Bühne, um ›Right Place Wrong Time‹ darzubieten, ein Stück, das erstmals 1973 auf Dr. Johns Album IN THE RIGHT PLACE er­­schien und durch zahlreiche Interpretationen – darunter von Bonnie Raitt, Tom Jones oder auch der Jon Spencer Blues Explosion – immer wieder neue Meriten erhielt. Es ist kaum zu glauben (erst recht angesichts des Umstands, dass sich Bruce Springsteen bereits vor mehr als drei Jahrzehnten als beinharter Dr. John-Fan outete), dass diese beiden Granden der US-amerikanischen Musiktradition noch nie gemeinsam auf der Bühne standen – und doch: So ist es. Beziehungsweise: So war es, bis zu diesem Abend. Umso beachtlicher, wie die beiden sich mit Worten und Instrumenten duellieren und dem Song-Klassiker noch einmal ein ganz neues, ebenso zeitgemäßes wie geschichtsverbundenes Gewand umlegen. Das geht gut los, denkt man – egal, ob man den Mitschnitt nur auf CD hört oder sich die in der Deluxe-Version des Al­­bums zusätzlich befindliche DVD des Konzertes anschaut. Und man denkt: Wie soll das noch zu toppen sein?

Doch dann geht es eben Schlag auf Schlag, und zwar ebenso, was die Dichte an prominenten Musikern anbetrifft, als auch in Bezug auf die vielen Genres, Stile und Instrumentierungen, die sich hier wie viele kaleidoskopisch schillernde Perlen auf eine Schnur aufziehen. Denn direkt auf den Boss folgt eine von dem Jung-Americana-Star Jason Isbell intonierte Version von ›Blow Wind Blow‹, die sozusagen das andere, juvenile Ende der zeitgenössischen US-Musiktraditionen widerspiegelt.

Weiter geht es – um nur einige Auszüge zu nennen – mit Mavis Staples, die dem Song ›Lay My Burden Down‹ eine gewaltige Portion Gospel mitgibt; Widespread Panic mit einer kraftvollen Performance von ›Familiar Reality‹; der ebenfalls noch zur jüngeren Musiker-Generation zählende Ryan Bingham mit einer bewegenden, tief der Roots-Music verschriebenen Version von ›Back By The River‹; der Soul-Grandezza des Songs ›Please Find Me Someone To Love‹, auf dem Dr. John mit den Neville-Brüdern Aaron und Charles schier um sein Leben singt; einer zutiefst sehnenden Version von ›Since I Fell For You‹, gemeinsam mit der ebenfalls aus New Orleans stammenden Sängerin Irma Thomas; oder John Fogerty, der die laute Crescent-City-Hymne ›New Orleans‹ so performt, dass man schnell spürt: Dr. John, der Voodoo-Meister zwischen Blues, Rock, Boogie-Woogie, Jazz, Zydeco und den klassischen Mardi-Gras-Klängen aus New Orleans hätte es auch in den Mainstream geschafft – wenn er dies nur je gewollt hätte.

Wollte er aber nicht. Viel wichtiger sei es ihm stets gewesen, sagt er im – leider recht kurz angebundenen – Interview, dass „ich immer stolz sein kann auf alles, was dabei hilft, New Orleans in der Welt zu repräsentieren. Dieser Abend war hierfür eine ganz besondere Gelegenheit, die ich deshalb tief in meinem Herzen trage.“ Ihm falle es auch sehr schwer, einzelne Duette hervor zu heben, denn „letztlich bin ich froh und stolz auf jeden einzelnen Beitrag. Aber mit Bruce Springsteen und den Neville Brothers zu performen, das waren schon zwei besondere Momente. Denn mit diesen Musikern wollte ich schon so lange einmal zusammenarbeiten.“ Dass es dem 1940 als Malcolm John Rebennack geborenen Künstler immer vor allem um die Musik sowie die Traditionen seiner Heimat New Orleans ging, sieht man schon an seiner Karriere.

Denn durch die Vermittlung seines Vaters, seinerzeit Inhaber eines Plattengeschäfts in New Orleans, war Dr. John bereits Mitte der 50er Jahre ein regelmäßiger Gast in den lokalen Tonstudios und konnte damaligen Größen wie Little Richard und Guitar Slim bei der Arbeit zu­­sehen. Es folgten viele Jahre als gefragter Sessionmusiker, unter anderem an der Seite von James Booker, Earl King und Professor Longhair (der, so will es die Legende, auch für die Etablierung des Namens Dr. John verantwortlich zeichnete), bevor 1968 – mithin: mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn seiner musikalischen Laufbahn – mit GRIS-GRIS das erste Album von Dr. John erschien, das viele bis heute für sein Bestes und Wichtigstes halten.

Über diesen frühen Weg sagt Dr. John lapidar: „Als mein Vater mir damals riet, mit den ganzen al­­ten Männern durch den Chitlin Circuit (eine damals bekannte und angesehene Reihe von Theatern im Süden der USA, Anm. d. Verf.) zu touren, war es genau das, was ich tat. Denn es war ein genialer Hinweis – so lernte ich alles, was es zu wissen gibt über Musiker und ihre Live-Perfomances.“ Bis heute ist Dr. John weitaus mehr Live- als Studio-Musiker, trotz seiner rund 25 mittlerweile aufgenommenen Studioalben. Insbesondere seine exaltierten, in manchen Phasen auch drogeninduziert exzessiven Konzerte gingen in die Geschichte der amerikanischen Musik ein – und brachten ihm neben sechs Grammys auch einen Platz in der „Rock’n’Roll Hall of Fame“ ein. Im Rahmen dieser mit allerlei Voodoo-Kram spielenden Shows entstand auch der einzigartig eklektische Stil dieses Mannes, der sich später auch „The Night Tripper“ taufte – ein selten treffender Name für einen Künstler, der stets seinen ganz eigenen Weg ging.

Einem dramatischen Zwischenfall früh in seiner Karriere – bereits rund um den Wechsel von den 50er- zu den 60er Jahren – verdankte der ur­­sprünglich einzig der Gitarre zugewandte Musiker eine radikale Kehrtwende: Bei einer Schießerei in New Orleans, wo Rebennack seinen Keyboard­er Ronnie Barron verteidigte, wurde ein Teil seines linken Ringfingers zerfetzt; fortan konnte er keine vernünftigen Akkorde mehr greifen und wechselte notgedrungen zum Piano als Hauptinstrument. Was für ein Gewinn dies für die roots-basierte amerikanische Musik war, zeigte sich in den Folgejahren – und nun auch wieder auf der hier angesprochenen Liveplatte THE MUSICAL MOJO OF DR. JOHN. Denn so wie er bedient niemand das Piano – stets mit einem ausgeprägten Gefühl für den alten Blues und Boogie-Woogie, gleichzeitig aber tief verwurzelt im drückenden Rock’n’Roll der späteren Jahre.

Auf die Frage, was für einen wie ihn noch zu entdecken bleibt, antwortet Dr. John gelassen: „Ich werde weiterhin das absolute Maximonium“ – ja, das ist das Wort, das er benutzt – „an Musik in die Welt bringen mit meiner Band. Dies weiterhin tun zu können, ist eine eineinhalbfache Segnung. Mindestens.“

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